Geschichte der Sternwarte
ESO-Instrumente – FORS
Mit der allmählichen Realisierung der Pläne zum Bau des
Very Large Telescope (VLT), der größten optischen Teleskopanlage
der Welt, die aus vier zusammenschaltbaren 8.2-m-Teleskopen
bestehen sollte, wurden bei ESO bzgl. der Instrumentierung dieser
Teleskope im Bereich Projektmanagement und Abwicklung Neuland betreten.
Wenn vorher nationale Institute im Auftrag der ESO ohne
großen Verwaltungsaufwand spezielle Instrumente für das
La-Silla-Observatorium gebaut hatten, war nun für die Abwicklung
des VLT-Instrumentenprogramms ein völlig anderer Rahmen vorgesehen,
in dem alles durch Verträge geregelt wurde:
Anforderungen an das Instrument, technische Spezifikationen, straffe,
eingehende und regelmäßige Fortschrittskontrollen sowie Strafmaßnahmen
im Falle von Verzögerungen und Nichteinhalten der Vorgaben.
Letztendlich war dieses Vorgehen für beide Seiten ein Gewinn, da die
sich bildenden Konsortien einer solchen Herausforderung gerecht werden
mussten, um als Lohn ihrer Bemühungen garantierte Beobachtungszeit mit
»ihrem« Instrument am VLT zu erhalten.
Nach jahrelangem Suchen und Testen im Norden Chiles hatte sich ESO
1988 schließlich für den Cerro Paranal als VLT-Standort entschieden.
Dieser etwa 150 km südlich von Antofagasta in der Atacama-Wüste
gelegenen 2660 Meter hohen Berg wurde daraufhin zusammen mit
einem Areal von 725 km2 von der chilenischen Regierung
ESO übereignet, die dann Anfang 1990 begann, den Berg nach ihre
Bedürfnissen umzugestalten, d. h. ein Plateau für die geplante
Teleskopanlage zu schaffen.
Hierfür mussten 250 000 m3 Fels abgetragen
werden, eine Maßnahme, die den Paranal in seiner Höhe um 28 Meter
kürzte.
Die Aufnahme stammt aus dem Jahre 1996, als die Bauarbeiten
zur Errichtung der vier vorgesehenen VLT-Teleskope schon weit
fortgeschritten waren.
Im Vordergrund ist das Kontrollgebäude zu erkennen, dahinter drei
schon fertiggestellte Kuppeln (mit zwei bereits montierten Teleskopen)
und der im Bau befindlichen vierten Kuppel.
Bereits im Jahre 1991 hatte nach einer internationalen Ausschreibung
die Sternwarte Bogenhausen zusammen mit der Landessternwarte Heidelberg
und der Universitäts-Sternwarte Göttingen, die sich zu diesem Zweck zu
einem Konsortium zusammengeschlossen hatten, von der ESO den Auftrag
erhalten, für das geplante VLT zwei nahezu identische Kombi-Instrumente
zu konzipieren und zu bauen.
Diese sollten direkte Aufnahmen, Polarisationsmessungen und diverse
Arten der simultanen Spektroskopie einer größeren Zahl von Objekten
erlauben, also die Eigenschaften mehrerer astronomischer Geräte in
sich vereinen.
Damit war der Startschuss für FORS (Focal Reducer and low-dispersion
Spectrograph) gefallen und ein hochmotiviertes Team von Astronomen
und Ingenieuren machte sich daran, das erste wissenschaftliche
Instrument für das VLT zu designen.
Das Projekt sollte sich dann als eine der aufwendigsten
Instrumentenentwicklungen erweisen, die seinerzeit jemals für die
bodengebundene Astronomie unternommen worden war.
Der innovativste Teil des dioptrisch ausgelegten Gerätes war die
Einheit für Multi Object Spectroscopy (MOS) im obersten
Abschnitt des Instruments, die mit Hilfe von 38 Spaltbacken die Bildung
von 19 Spalten in beliebigen Teilen des Gesichtsfeldes erlaubte und
damit die simultane Spektroskopie von 19 Objekten.
Hierfür standen z. B. bei FORS1 insgesamt sieben Grisms
unterschiedlicher Dispersion zur Verfügung.
Zwei per Fernbedienung austauschbare unterschiedliche Kollimatoren
im mittleren Teil des Instruments reduzierten den Abbildungsmaßstab
im Cassegrainfokus des Teleskops und erlaubten eine den Pixeln des
CCD-Detektors angepasste Bildgröße.
Dabei gestatteten insgesamt sieben Breitband- und acht Interferenzfilter
direct imaging in unterschiedlichen Spektralbereichen.
Eine Spezialität von FORS1 waren auch besondere optische Komponenten,
die die Möglichkeit polarimetrischer und spektropolarimetrischer
Messungen boten.
FORS2 besaß neben seiner normalen MOS-Einrichtung auch die Option,
mittels spezieller Masken, die aus 0.21 Millimeter dickem Invarstahl
gefertigt wurden und mit bis zu einhundert lasergeschnittenen
Spalten beliebiger Dimension und Position versehen werden konnten,
eine wirklich große Zahl von Objekten simultan zu spektroskopieren.
Die Masken, von denen bis zu zehn in einem Magazin in der MOS-Einheit
gespeichert und ferngesteuert positioniert wurden, mussten allerdings
schon einige Zeit vor den Beobachtungen hergestellt werden.
Für jedes der beiden FORS-Instrument waren schließlich mehr als
50 Antriebsmotoren erforderlich, um alle beweglichen Teile der
komplizierten Geräte mit hoher Präzision zu steuern und und zu
fixieren.
Der Sternwarte München oblag das Management des Gesamtprojekts
sowie die Konzeption und Ausführung der gesamten Elektronik und
der Instrumenten-, Bedienungs- und Beobachtungssoftware, während
Heidelberg für die optische und Göttingen für die mechanische Seite
der Instrumente verantwortlich zeichnete.
Der geplante Zusammenbau der einzelnen Sektionen der Instrumente und
deren Tests in Bogenhausen erforderten erhebliche bauliche Maßnahmen
im Institut.
In den Jahren 1993/94 wurde ein zusätzliches großes Labor in den
Kellerräumen eingerichtet, eine befestigte Zufahrt für die Anlieferung
und den Abtransport tonnenschwerer Lasten gebaut und ein entsprechend
dimensioniertes Tor als Zugang zum Kellerbereich installiert.
Der 1975 vor dem Kellereingang errichtete 40-cm-Coelostat
fiel zusammen mit den zugehörigen Einrichtungen im Kellerflur diesen
Baumaßnahmen zum Opfer.
Zum Test des jeweils kompletten Instruments wurde wegen dessen
gewaltigen Dimensionen
(Höhe: ca. 3 m,
Durchmesser: ca. 1.6 m (ohne die daran befestigten Elektronikschränke),
Gewicht: ca. 2.5 Tonnen)
bei der Deutschen Forschungsanstalt für Luft und Raumfahrt (DLR)
in Oberpfaffenhofen bei München im Juli 1996 für drei Jahre eine
große Automationshalle angemietet, in der das Konsortium mit
Hilfe eines eigens von ihm entwickelten und gebauten Teleskop-
und Sternsimulators die beiden vollintegrierten Instrumente unter
realitätsnahen Bedingungen extensiv in allen Funktionen testete und
optimierte sowie ihre opto-mechanischen Eigenschaften dokumentierte.
Nach Ende der Erprobungen in Europa wurden, entsprechend
einem detaillierten Zeitplan im Zusammenhang mit den allmählich
funktionsfähig werdenden Teleskopen auf Paranal, beide Instrumente
in ihre Einzelteile zerlegt und per Luftfracht nach Santiago de Chile
transportiert (FORS1: Juli 1998, FORS2: August 1999).
Ab dort erfolgte dann der Weitertransport auf der Panamericana in
jeweils zwei temperaturstabilisierten Lastzügen zum 1200 km entfernten
Paranal in Nordchile.
Die Instrumente wurden anschließend in einer Integrationshalle im
Basislager des Observatoriums wieder reintegriert, getestet und im
integrierten Zustand zu den zwischenzeitlich installierten ersten
beiden Teleskopeinheiten transportiert.
Dort erfolgten dann die sich jeweils über Wochen hinziehenden
intensiven Tests aller Optionen der Instrumente in der realen
VLT-Umgebung, erstmals auch mit dem Licht »echter« kosmischer Objekte
(First Light:
15. September 1998 (FORS1) und 29. Oktober 1999 (FORS2)).
Schon die ersten Testaufnahmen, die um die Welt gingen, begeisterten
wegen ihrer herausragenden Qualität nicht nur die Fachastronomen,
sondern auch Amateure und interessierte Laien.
Die hochkomplexen FORS-Geräte erfüllten alle in sie gesetzten
Erwartungen vorzüglich und wurden schließlich plangemäß am 1. April
1999 (FORS1) und 1. April 2000 (FORS2) in Dienst gestellt und für
die Benutzung durch die europäischen Astronomen freigegeben.
Zur effizienten Ausbeute der zur Verfügung stehenden teuren
Beobachtungszeit (ca. 100 000 DM pro Nacht) war auch
hierfür eine Neuerung eingeführt worden, das Konzept der
Observing Blocks (OBs).
Damit wurde es dem Beobachter ermöglicht, mit Hilfe eines
in Bogenhausen entwickelten Computerprogramms alle für seine
Messungen erforderlichen instrumentellen Einstellungen an einem
Rechner im Heimatinstitut virtuell zu simulieren und zu optimieren,
die entsprechenden Anweisungen in einem OB festzuhalten und diesen
später vor Ort von einem Operator in das VLT-Computersystem einspeisen
zu lassen.
Die Beobachtungsvorgänge als solche werden dann vollautomatisch vom
Teleskop durchgeführt.
Das FORS1-Instrument am Teleskop- und Sternsimulator in einer
Automationshalle des DLR in Oberpfaffenhofen.
Damit konnte das Gerät unter realitätsnahen Bedingungen zwei Jahre
getestet und optimiert werden.
Das etwa drei Kilometer vom Gipfelplateau entfernte, aus Containern
bestehende Basislager des entstehenden Paranal-Observatoriums im
April 1998.
In der großen Integrationshalle links im Vordergrund wurden die
FORS-Instrumente nach einer Reise von etwa 12 000 km
wieder zusammengebaut.
Die anschließenden extensive Testserien der Funktionalität der
Instrumente nahmen jeweils mehrere Wochen in Anspruch.
Am 9. September 1998 trat FORS1 integriert und wohlverpackt auf der
seinerzeit noch nicht geteerten und daher zur Vermeidung von Staub
bewässerten Piste den letzten Teil seiner Reise vom Basislager zur
VLT-Einheit Nr. 1 an.
FORS1 während der Montage im Cassegrain-Fokus von VLT-Teleskopeinheit
Nr. 1 und als arbeitsfähiges Instrument.
Wegen der hervorragenden meteorologischen Bedingungen auf Paranal
war es leistungsfähiger und empfindlicher als das bekannte
Hubble Space Telescope.
Auch in extremen Positionen bleibt das tonnenschwere Instrument stabil
und biegt sich aufgrund intelligenter statischer Maßnahmen praktisch
nicht durch.
Damit bestätigte es die Vorhersagen, die vorab mit der
Finite-Elemente-Methode und dann in zahllosen Versuchen in der
DLR-Integrationshalle getroffen worden waren:
Die sog. image motion erwies sich in der Praxis kleiner als
ein Viertel Pixelgröße.
Diese elektronische Aufnahme der großen Spiralgalaxie NGC 1232
wurde während der Tests von FORS1 an VLT-Teleskopeinheit Nr. 1 am
21. September 1998 als erstes technisches Bild vom FORS-Team
angefertigt.
Die Galaxie befindet sich in einer Entfernung von
100 Millionen Lichtjahren und ist mit einem Durchmesser von
200 000-Lichtjahren etwa doppelt so groß wie unsere
eigene Milchstraße.
Das Zentralgebiet enthält ältere, rötlich leuchtende Sterne,
während die Spiralarme von jungen, blauen Sternen und roten
Sternentstehungsgebieten bevölkert sind.
Die kleine Galaxie am linken Bildrand ist durch gravitative
Wechselwirkung mit ihrer großen Begleiterin gestört.
Das Bild wurde im Herbst 1999 von der weltweiten Leserschaft der
astronomischen Zeitschrift Sky and Telescope unter die
10 most inspiring images of the century gewählt.
Es wurde zu einer Ikone des VLT, in Büchern, Zeitschriften und auf
CD-Hüllen reproduziert und bei zahllosen Ausstellungen gezeigt.
So zierte es auch den Pavillon der Europäischen Union bei der EXPO 2000
in Hannover.
Als sich dann tatsächlich nach kurzer Zeit die beiden FORS-Instrumente
wie prognostiziert zu den Arbeitspferden am VLT entwickelten,
war klar geworden, dass sich die Mühen von ca. 180 Mannjahren
Arbeitseinsatz und der finanzielle Aufwand von ca. 24 Millionen DM
ausgezahlt hatten, auch für die Konsortiumsmitglieder, die neben der
Stärkung ihres Renommees als erfolgreiche Instrumentenentwickler für
ihren Einsatz 66 Nächte Beobachtungszeit mit »ihren« Instrumenten
erhielten.
Wegen ihrer großen Bandbreite konnten die FORS-Instrumente von der
Astronomical Community erfolgreich in den unterschiedlichsten
Forschungsbereichen eingesetzt werden, etwa bei der Massenbestimmung
von Galaxienhaufen mit Hilfe von Gravitationslinsen oder bei der
Identifizierung von Gamma-ray bursts entfernter Galaxien mit
dem Tod massereicher Sterne.
Daneben wurden die FORS-Instrumente auch mit Erfolg bei der Messung
extrasolarer Planeten mit der Transitmethode eingesetzt, deren
Parameter damit genauer festgelegt werden konnten.
Sie wurden sogar für spektroskopische Untersuchungen von
transneptunischen Objekten in unserem Sonnensystem benutzt, die starke
Hinweise auf die Existenz von Wasser auf deren Oberflächen ergaben.
Trotz dieser Erfolge wurde, wie üblich im astronomischen
Instrumentenbau, FORS1 nach 10-jährigem Einsatz zum 1. April 2009
ausgemustert, um nach dieser langen Zeit Platz für Neuentwicklungen
zu schaffen und dem technischen Fortschritt Tribut zu zollen.
Wegen der Vielseitigkeit und hohen Verlässlichkeit des Instruments
waren jedoch viele Nutzer mit dieser Demission nicht einverstanden.
Wenigstens FORS2 wurde daraufhin – ein außergewöhnlicher Vorgang –
bis heute am Leben gehalten und versorgt die europäischen Astronomen
weiterhin mit Beobachtungsdaten exzellenter Qualität.
Die wissenschaftliche Ausbeute der beiden FORS-Instrumente schlug
sich bis Ende 2015 in insgesamt weit über 2000 Publikationen in
referierten Fachzeitschriften nieder und die Überbuchung von FORS2, ein
Maß für die Beliebtheit des Instruments, die im Laufe der bisherigen
Betriebszeit im Mittel schon bei einem Faktor von 3.25 lag, steigerte
sich in letzter Zeit gelegentlich sogar auf einen Faktor von über 5.
Die FORS-Erfolgsgeschichte dauert an:
FORS2 soll demnächst modernisiert werden (im Wesentlichen Austausch
von Detektor- und Kontrollsystem), um seine vielfältigen Optionen
noch für viele weitere Jahre am Paranal nutzen zu können.
Ernsthaft diskutiert wird sogar auch die Möglichkeit, FORS1 zu
reaktivieren.
Die Erfolgsgeschichte des FORS-Projekts geht weiter:
Auch fast 20 Jahre nach seiner Indienststellung ist FORS2 (nunmehr an
VLT-Teleskopeinheit Nr. 1 und mit eingebauter Polarisationsoption von
FORS1) noch immer ein gefragtes und ständig überbuchtes Instrument,
mit dem Spitzenforschung betrieben wird.
Es soll demnächst modernisiert werden, um dann noch weitere Jahre am
VLT zur Verfügung zu stehen.
Das Diagramm zeigt den wissenschaftlichen Output, der mit den
FORS-Instrumenten bis 2016 erzielt wurde.
Bildquellen:
Nr. 3: USM
Nr. 1, 2, 5–14: ESO
Nr. 4: E. Slawik
|