Geschichte der Sternwarte
Rabe – Astronomie
Im Zuge der Neubesetzung der Wilkensschen Stelle kam es zwischen der
Universität und dem Reichsminister für Wissenschaft, Erziehung
und Volksbildung zu heftigen Meinungsverschiedenheiten.
In der Vorschlagsliste der Universität wurde ausdrücklich darauf
hingewiesen, dass der Assistent Wilkens’, Wilhelm Rabe, der bereits
im Mai 1934 mit dem Abhalten der Vorlesungen beauftragt worden war,
für die Nachfolge ungeeignet erscheine.
Er sei zwar ein guter Beobachter, lasse aber nach Meinung der Fakultät
keine neuen Anregungen für den Lehrstuhl erwarten .
Da diese Einschätzung bei politisch einflussreichen Personen aus dem
Umfeld der Sternwarte auf heftigsten Widerstand stieß, forderte
im September 1934 das Reichsministerium das bayerische
Kultusministerium auf, in Verhandlungen mit Rabe zu treten, was
letztendlich im Dezember 1934 geschah.
Da Rabe in seinen Forderungen zurückhaltend war, konnte seine
offizielle Ernennung zum Sternwartdirektor und Ordinarius für
Astronomie an der Universität am 20. April 1935 stattfinden.
Im Sommer des gleichen Jahres erreichte er eine Aufstockung des
Personals, so dass zum Jahresende 1935 wieder nominell sieben
Astronomen an der Sternwarte Bogenhausen tätig waren.
Um der drückenden Raumnot zu begegnen, wurde das Erdgeschoss der
Direktoren-Villa für Institutszwecke umgewandelt und dort die
Bibliothek, ein Lesezimmer und eine Dunkelkammer untergebracht.
Den frei werdenden Raum in der südwestlichen Ecke des Hauptgebäudes,
der fast 120 Jahren als Bibliothek verwendet worden war, nutzte man
nun als mechanische Werkstatt.
Auch Rabe war wegen der obwaltenden Umstände und auf Grund seiner
wissenschaftlichen Präferenzen nicht in der Lage, die Sternwarte
Bogenhausen aus ihrem Dornröschenschlaf zu wecken und enger an die
Astrophysik heranzuführen.
Sofort nach dem Weggang Wilkens hatte er die photographischen
Untersuchungen am Fraunhofer-Refraktor, die ja zumindest ein zaghaftes
astrophysikalisches Programm waren, einstellen und den ursprüngliche
Zustand an diesem Teleskop wiederherstellen lassen.
Er begann dann ab Juli 1934 wieder mit seinen Mikrometermessungen
visueller Doppelsterne, die er schon 1913 in Breslau gestartet hatte
und nun mehr als zwanzig Jahre fortsetzen sollte.
Dabei wurde er mit etwa 39 000 Messungen weltweit zu
einem der bedeutendsten Beobachter auf diesem Spezialgebiet der
klassischen Astronomie.
Da die Umlaufperioden von visuellen Doppelsternen zwischen einigen
und einigen tausend Jahren liegen können, wurden schon früh Methoden
entwickelt, die die Ermittlung der Bahnelemente bereits mit einem
relativ kleinen Bahnbogen erlauben.
Auch Rabe hat erfolgreich diesbezügliche Untersuchungen zur Bestimmung
und Verbesserung der Bahn durchgeführt und dabei auch selbst neue
Verfahren entwickelt.
Einige Jahre vor seinem Tod gelang ihm noch die Realisierung einer
Technik zur photographischen Aufzeichnung visueller Doppelsterne,
die auf dem Prinzip der Okularvergrößerung beruhte und eine zehnfache
Steigerung der Messgenauigkeit brachte.
![[Wilhelm Rabe]](01_Rabe_.jpg)
Der aus Breslau stammende Wilhelm Rabe wurde 1935 auf Druck des
Reichsministers für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung
vom Bayerischen Kultusministerium gegen den Wunsch der Universität
als Nachfolger Wilkens’ eingesetzt.
Den Fraunhofer-Refraktor nutzte Rabe ab 1934 über 20 Jahre
hinweg zur Beobachtung visueller Doppelsterne.
![[Doppelsternkamera am Refraktor]](03_Refr2_.jpg)
In seinen letzten Lebensjahren entwickelte Rabe ein Verfahren,
visuelle Doppelsterne mit Okularvergrößerung zu photographieren und
damit die Genauigkeit der Messung von Positionswinkel und Distanzen
um eine Zehnerpotenz zu steigern.
Die Bilder zeigen die am Refraktor angeflanschte Doppelsternkamera
und eine Platte mit Aufnahmen des visuellen Doppelsterns α Gem
vom 11. März 1957.
Von Oktober 1956 bis März 1958 konnte Rabe in 64 Nächten etwa
90 Photoplatten mit Daten von 35 Doppelsternen erhalten.
Der Vertikalkreis und die beiden Meridiankreise wurden weiterhin im
Rahmen astrometrischer Programme eingesetzt.
Nachdem man am kleinen Astrographen 1936 mit photographischen
Beobachtungen von Bedeckungsveränderlichen begonnen hatte, beschaffte
man zur weiteren Aufwertung dieses Instruments ein Objektivprisma
für spektralphotometrische Untersuchungen.
Solchen Aktivitäten war jedoch kein langes Leben beschieden,
denn schon 1937 wurden sie abgebrochen, da häufige Störungen
durch Scheinwerferübungen die Zahl der einwandfreien Nächte weiter
verringerten und bei dem nunmehr feststehenden Neubau des Münchener
Flughafens im Osten der Sternwarte (Riem) die photometrischen
Beobachtungsbedingungen sich weiter verschlechtern werden.
Der Reichenbachsche Meridiankreis in den 1930er Jahren.
In der Strebelschen Sternwarte in Herrsching gingen die Untersuchung
von Oberflächenphänomenen der Sonne, teilweise unter Einbezug
von Mitarbeitern der Sternwarte in Bogenhausen, noch bis ca. 1937
weiter und kamen dann zum Erliegen, u. a. auch wegen des mangelnden
Interesses von Rabe.
Das 60-cm-Spiegelsystem war schon im August 1935 auf dem Gelände
der Sternwarte in Bogenhausen aufgestellt worden.
Aber erst nachdem 1936 von der Werkstatt ein neuer Spiegelantrieb
gebaut worden war, konnte damit ein mehrjähriges Programm der
photographischen Messung enger Doppelsterne gestartet werden, das
1939 beendet wurde.
Im Juli 1937 wurde auch ein 40-cm-Spiegelsystem nach nach
Bogenhausen gebracht, mit dem noch bis Anfang 1939 gelegentlich
Sonnenbeobachtungen auch mit Photo- und Thermozellen durchgeführt
wurden.
Diese Anlage hatte schon 1917 dem Konstrukteur Schmidt dazu gedient,
gute Aufnahmen von Sonnenflecken zu erhalten.
Nach dem Tode Strebels im Frühjahr 1943 entstand ein Rechtsstreit um
das Grundstück in Herrsching, der sich fast dreißig Jahre hinziehen
sollte.
Die Außenstation der Sternwarte Bogenhausen wurde 1946 aufgelöst und
die restlichen astronomischen Instrumente teilweise nach München,
teilweise zum Sonnenobservatorium Wendelstein (vgl. später)
transferiert.
Auf dem Gelände wurde schließlich 1971 eine Außenstelle des
Hydrographischen Instituts der Universität errichtet.
In den Jahren 1937/38 ergab sich infolge einer Neuorganisation der
Akademie eine einschneidende Veränderung in den verwaltungstechnischen
Verhältnissen der Sternwarte Bogenhausen.
Schon Seeliger hatte am 22. Juni 1921 in einer öffentlichen Sitzung
der Akademie zu Überlegungen aufgefordert, ob nicht eine völlige
Trennung des Generalkonservatoriums vom Präsidium der Akademie für
beide Teile vorteilhaft wäre .
Auch später wurde eine Loslösung immer wieder diskutiert, doch noch
1932 hatte man sich für einen Verbleib bei der Akademie entschieden.
Im Zusammenhang mit der Neubesetzung des Präsidentenamtes Anfang 1936,
die von Berlin ohne Rücksichtnahme auf die Wünsche der Akademie
durchgesetzt worden war, wurde das Amt des Generaldirektors der
Wissenschaftlichen Sammlungen, das ja üblicherweise mit dem des
Akademiepräsidenten in Personalunion verbunden war, vom Berliner
Ministerium aber für Max Dingler (1883–1961) vorgesehen.
Der aus Landshut stammende Entomologe Dingler lehrte an der
Universität Gießen Biologie und hatte sich schon 1934 mit zwei
Denkschriften an das bayerische Kultusministerium und an den Stab
des Führerstellvertreters Heß gewandt, um eine Loslösung der
Wissenschaftlichen Sammlungen von der Akademie zu fordern.
Dabei hatte er dafür plädiert, die Lehrsammlungen
den zuständigen Universitätsinstituten anzugliedern und die
Schausammlungen unter die Verwaltung einer eigenen
Generaldirektion zu stellen.
Dingler, der schon 1922 der NSDAP beigetreten war und am 9. September
1923 an Hitlers Marsch zur Feldherrnhalle teilgenommen hatte, besaß
gute Kontakte zu den höchsten Stellen und fand im Heßschen Stab offene
Ohren für seine Organisationsvorschläge.
Nach seiner Ernennung konnte Dingler sein Vorhaben in die Tat umsetzen:
Am 10. Oktober 1936 präsentierte er seinen Bericht zur Neuordnung
der Wissenschaftlichen Sammlungen des Staates und die Aufteilung
der Sammlungen.
Danach sollten neben z. B. dem Chemischen Laboratorium, dem Institut
für Theoretische Physik und dem Physiologischen Institut auch die
Sternwarte in Bogenhausen der Universität angegliedert und z. B. die
Anthropologische Staatssammlung, der Botanische Garten, die Zoologische
Sammlung und das Museum für Völkerkunde Dingler untergeordnet werden.
Mit Erlass vom 11. März 1938 erfolgte schließlich rückwirkend zum
1. April 1937, dem Beginn des Haushaltsjahres, die Angliederung
der Sternwarte Bogenhausen und der Erdphysikalischen Warte an die
Naturwissenschaftliche Fakultät der Universität.
Diese war 1937 aus der Philosophischen Fakultät II hervorgegangen,
in der die naturwissenschaftlichen Disziplinen beheimatet waren.
Neben haushaltstechnischen hatte dies auch personalpolitische Folgen,
denn nun konnten Probleme bei der Beförderung und Nachfolge von
Mitarbeitern sowie bei Stellentransfers leichter gelöst werden.
Die ehemals königliche Sternwarte der Akademie war somit zur
Universitäts-Sternwarte geworden.
Obwohl Rabe seit 1937 Parteimitglied war – er hatte hier offenbar
keine andere Wahl gehabt, falls er nicht Probleme mit seiner
Amtsstellung bekommen wollte – und gelegentlich auch opportunistische
Tendenzen zur Schau gestellt hatte, ging er auf Konfrontationskurs mit
dem Regime, als der Reichsführer SS Heinrich Himmler (1900–1945)
1937 versuchte, dem Selenographen Philipp Fauth (1867–1941) aus
Bewunderung für dessen Aktivitäten den Professorentitel zu verleihen.
Fauth stammte aus Bad Dürkheim (damals bayerische Pfalz), war
Volksschullehrer und ein sehr ambitionierter Amateurastronom, der
sich ganz der Kartographierung des Mondes verschrieben hatte und ab
1931 am Ortsrand von Grünwald eine kleine Sternwarte betrieb.
Daneben beschäftigte er sich auch mit der sog. Welteislehre des
Wiener Ingenieurs Hanns Hörbiger (1860–1931) und war darüberhinaus
1913 die treibende Kraft bei der Veröffentlichung des Buches
Hörbigers Glacial-Kosmogonie gewesen, deren Ideen
wissenschaftlich purer Unsinn sind und von der Fachwelt auch strikt
abgelehnt wurden.
Während Hörbiger jegliche Überprüfung seiner Theorie durch
Beobachtungen ablehnte – Gegenbeweise tat er als
Fälschungen reaktionärer Astronomen ab und sah sich als Genie,
das gegen ignorante Professoren anzukämpfen hatte – versuchte
Fauth, die Aussagen der Welteislehre mit seinen Mondbeobachtungen
zu untermauern.
Diese nordische Sicht der Welt hatte vor allem auch höhere
Parteifunktionäre der NSDAP fasziniert und wurde so politisch
aufgewertet.
Selbst Hitler war von ihr begeistert.
Da sich neben Rabe auch die Universität der geplanten Ehrung Fauths
durch Himmler entgegenstellte, konnte diese zunächst für einige
Zeit verhindert werden, fand aber schließlich dennoch am 30. Januar
1939 statt.
Bildquellen:
Nr. 1–5: USM
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