Geschichte der Sternwarte
Lamont – Diverses
Meteorologie
Trotz seiner Arbeitsüberlastung hatte sich Lamont 1838 von der
Akademie mit einer weiteren wichtigen, arbeitsintensiven Aufgabe
betrauen lassen.
Da für die landesweiten meteorologischen Aktivitäten der Akademie
eine Centralstelle fehlte, die diese Arbeiten koordinierte, für
eine zusammenfassende Interpretation und Publikation sorgte und damit
den alten Schlendrian abstellte, wurde er zum Chef-Meteorologen
berufen.
Die Sternwarte Bogenhausen avancierte damit zum Zentrum der
meteorologischen Forschung, der alle meteorologischen Stationen in
Bayern unterstellt waren.
Lamont stürzte sich sofort mit Feuereifer auf seine neue Aufgabe und
gründete einen meteorologischen Verein:
Seine Majestät der König von Bayern haben in Berücksichtigung der
vorhergehenden Verhältniße die Gründung des meteorologischen Vereins
allerhöchst zu bestätigen und den Wirkungskreis der Königlichen
Sternwarte deßfalls angemeßen zu erweitern geruht .
Die Mitglieder des Vereins setzten sich im Wesentlichen aus Lehrern,
Pfarrern, Apothekern und Forstmeistern nicht nur in Bayern sondern auch
in Norddeutschland, Holland, Belgien, Frankreich und Italien zusammen
und Lamont war bemüht, deren Geräteausstattung zu vereinheitlichen
und zu verbessern.
Hierzu entwickelte er eine Reihe neuartiger Instrumente, z. B.
registrierende Thermometer, erarbeitete neue Beobachtungsmethoden
und stellte Normalinstrumente für Eichzwecke zur Verfügung.
Lamont entwickelte oder verbesserte ein große Zahl von meteorologischen
Messinstrumenten, die er nicht nur den Mitgliedern des meteorologischen
Vereins zur Verfügung stelle, sondern auch an viele Institutionen
verkaufte.
Abgebildet sind hier ein registrierendes Thermometer (links) und ein
registrierendes Barometer (rechts).
Um die Anzahl der Stationen in Bayern zu vergrößern wurde auf
Lamonts Betreiben eine aus dem Jahre 1803 stammende
Instruction, nach welcher durch die Kgl. Gerichtsärzte
correspondirende meteorologische Beobachtungen anzustellen sind ,
im Jahre 1839 wieder neu erlassen, denn bis zum heutigen Tag ist
nicht ein einziges Ergebnis zur oeffentlichen Kenntnis gelangt .
Lamont musste allerdings 1852 erkennen, dass
der Gerichtsarzt . . . durch vielerlei Obliegenheiten seiner
gesellschaftlichen Stellung in Anspruch genommen, von der Wichtigkeit
und dem Nutzen meteorologischer Beobachtungen einen ganz anderen
Begriff hat, als der abstracte Gelehrte, der in seiner Studirstube
sitzend, in einer eigenen Ideenwelt lebt und die Erforschung der
Naturgesetze als einziges und hoechstes Ziel vor Augen hat ,
denn von ca. der Hälfte der knapp 400 Ärzte wurden gar keine
Beobachtungen eingesandt und von den restlichen waren nach 10 Jahren
nur 17 übrig geblieben, die der Aufforderung noch nachkamen.
Besonders intensiv kümmerte sich Lamont um das Observatorium
Hohenpeißenberg, das er regelmäßig mindestens einmal im Jahr auch
für längere Zeit besuchte.
Dabei überprüfte er immer die Geräte, instruierte den Beobachter, der,
wie schon seit Jahrzehnten, gleichzeitig der dortige Pfarrer war,
und führte fast 40 Jahre einen akribischen Schriftwechsel, bei dem
es manchmal nur um die Klärung eines Vorzeichens in den übersandten
Messprotokollen oder die korrekte Reduktion des Luftdruckes ging.
Nach mühevoller Kleinarbeit konnte Lamont auch verloren geglaubte
Daten wieder aufspüren und schließlich die in den Jahren 1792 bis
1864 erhaltenen Messergebnisse veröffentlichen.
Sie werden heute noch u. a. zur Bewertung des Klimawandels
herangezogen.
Links: Anleitung Lamonts für die Beobachter des meteorologischen
Vereins, die im Jahrbuch der königl. Sternwarte für 1841
gedruckt wurde.
Mitte: Die Publikation der langen Hohenpeißenberger Datenreihe erfolgte
1851 im 1. Supplementband der Annalen der Münchener Sternwarte.
Rechts: Im Bemühen seine meteorologischen Erkenntnisse auch
für Wettervorhersagen zu nutzen, publizierte Lamont in seinem
Astronomischen Kalender monatliche Wetterprognosen.
Die Abbildung zeigt die Vorhersage für Mai 1850, die er aus den seit
Anfang der 1820er Jahre in Bogenhausen gesammelten meteorologischen
Daten hergeleitet hatte.
Auch in Bogenhausen wurden die meteorologischen Messungen intensiviert
und versucht, meteorologische Zusammenhänge zu erforschen.
Jede Stunde, Tag und Nacht, wurden Luftdruck, Temperatur und
Feuchtigkeit aufgezeichnet, ab 1846 auch mit registrierenden Geräten.
Gleichzeitig wurden Bewölkung, Wind, Niederschläge, Bodentemperatur
etc. festgehalten und so eine Sammlung praktisch lückenloser
meteorologischer Daten bis etwa 1883 erhalten.
Hierbei entwickelte Lamont auch Ideen zur klimatischen Kartierung
Bayerns, die ihm vor allem für die Landwirtschaft als nützlich
erschien, um damit z. B. die ortsabhängige Dauer für Wachstum und
Reife von Feldfrüchten zu bestimmen.
Die unbefriedigenden Erfahrungen mit den Gerichtsärzten und sein
zunehmendes Alter veranlassten Lamont ab Mitte der 1860er Jahre,
eine staatliche Institutionalisierung des Messnetzes anzustreben,
das auch ohne ihn als Triebfeder arbeiten konnte.
Dabei sollte der Hohenpeißenberg den Rang einer Hauptstation einnehmen.
Lamonts Bemühungen blieben jedoch aus den verschiedensten Gründen
lange erfolglos.
Der erste internationale Meteorologenkongress in Wien von 1873 brachte
schließlich den Durchbruch und führte 1878, ein Jahr vor Lamonts Tod,
zur Gründung der Meteorologischen Zentralanstalt in München.
Dies war die Geburtsstunde des bayerischen Landeswetterdienstes mit
einem meteorologischen Beobachtungsnetz, das – eine späte Genugtuung
– nach den Vorstellungen von Lamont gestaltet wurde.
Geodäsie
Ab 1860 musste sich Lamont auch mit Fragen der Geodäsie
auseinendersetzen.
Der preußische Generalleutnant Johann Jacob Baeyer (1794–1885), der
schon ab 1831 für einige Jahre mit Bessel bei der ostpreußischen
Gradmessung zusammengearbeitet hatte, machte nach Beendigung
seiner militärischen Karriere ermutigt von Humboldt die Idee
einer Zusammenfassung der vielen einzelnen Triangulationsnetze in
Mitteleuropa zu seiner Lebensaufgabe.
Im Bestreben, die unterschiedlichen Staaten von Skandinavien bis
Italien zur Teilnahme an dieser Mitteleuropäischen Gradmessung
zu bewegen, kam Baeyer 1860 auch nach München, um mit den für diese
Fragen zuständigen Institutionen, dem Topographischen Bureau,
der Steuerkatasterkommission und der Sternwarte in Bogenhausen
Verhandlungen aufzunehmen.
Das Gespräch mit Lamont weckte bei diesem wegen des bevormundenden
Verhaltens Baeyers ein bleibendes Misstrauen gegenüber dessen Plänen
und Lamont hegte große Bedenken nicht in der Sache selbst, sondern
in der Art und Weise mit der das Projekt realisiert werden sollte.
Auch in anderen europäischen Ländern war die Kontaktaufnahme des
preußisch-militärisch auftretenden Generals nicht ohne Irritationen
und ein Gefühl des Misstrauens gegenüber Hegemoniebestrebungen
Preußens abgelaufen.
Schließlich musste ja bei einer Teilnahme an diesem Projekt militärisch
verwertbares Material außer Landes gegeben werden.
Trotzdem stellte Preußen im Jahre 1861 offizielle Anträge an die
Regierungen der mitteleuropäischen Staaten, die zur Beteiligung an
dem Vorhaben aufforderten.
Nach diesen Anlaufschwierigkeiten erfolgte dann 1867 der formelle
Beitritt der Bayerischen Staatsregierung zur Mitteleuropäischen
Gradmessung.
Da zusätzlich noch Spanien, Frankreich, Belgien, Holland,
England und Russland dem Unternehmen beitraten, wurde aus der
Mitteleuropäischen eine Europäische Gradmessung.
Die im Jahre 1868 zur Unterstützung des Vorhabens an der Akademie
gegründete Königl. Bayerische Kommission für die Europäische
Erdmessung existiert heute noch als Bayerische Kommission
für die Internationale Erdmessung.
Die Gründungsurkunde der an der Akademie beheimateten
Königlich Bayerischen Kommission für die Europäische Erdmessung
des Jahres 1868.
Das Bayerische Triangulationsnetz und die von Lamont gemessenen
geodätisch-astronomischen Punkte in Benediktbeuern, Hohenpeißenberg,
München, Nürnberg und Coburg.
Auch Lamont war als Gründungsmitglied beteiligt und sah es als
wünschenswert an, die Bayerische Triangulation für die Zwecke
einer mitteleuropäischen Gradmessung, insbesondere durch Hinzufügung
der erforderlichen astronomisch-geodätischen Bestimmungen anwendbar
zu machen .
Er analysierte sorgfältig die Qualität des von Soldner erstellten
Bayerischen Dreiecknetzes und ergänzte es durch zusätzliche
astronomische Ortsbestimmungen.
Für die neuen Messungen ließ er eigens ein besonders genaues Instrument
herstellen, mit dem man Winkel auf eine Sekunde genau bestimmen konnte.
So entstanden Breiten- und Azimutbestimmungen auf der Sternwarte
Bogenhausen, dem Hohenpeißenberg sowie in Benediktbeuern, Coburg
und Nürnberg.
Die Messungen führte er teilweise selbst durch, teilweise wurden
sie aber auch unter seiner Leitung von seinem Schüler Carl v. Orff
(1817–1895), dem Großvater des Komponisten Carl Orff (1895–1982),
vorgenommen.
Orff führte auch ergänzende Breitenbestimmungen in Nürnberg,
Mittenwald, Holzkirchen und Ingolstadt aus sowie eine Breiten- und
Azimutbestimmung der Festung Wülzburg bei Weißenburg in Franken.
Auch wenn die Geodäsie nicht im Zentrum seines wissenschaftlichen
Interesses stand, so leistete Lamont im Urteil der Fachgelehrten doch
wichtige Beiträge zu den geodätischen Grundlagen Bayerns.
Seine Haltung zu den Vorschlägen Baeyers lässt darauf schließen,
dass er sich nur seiner Forschung verpflichtet fühlte und nicht den
Vorschriften einer Kommission, noch dazu einer in Preußen.
Statistik
Lamonts Neigungen reichten aber noch weiter:
Möglicherweise in Anlehnung an die von 1781 bis 1789 erschienenen
Ephemeriden der Bayerischen Akademie der Wissenschaften gab er
von 1838 bis 1841 ein Jahrbuch der Königlichen Sternwarte bei
München und von 1850 bis 1853 einen Astronomischen Kalender
für das Königreich Bayern heraus, in dem neben detaillierten
astronomischen, meteorologischen und allgemeinen physikalischen
Informationen z. B. auch solche bezüglich der Bevölkerungsstatistik,
der wirtschaftlichen Entwicklung und der Geographie Bayerns, der
Strafrechtspflege, des Münzwesens, der gültigen Maße und Gewichte
und der Genealogie des Königlichen Hauses zusammengetragen sind.
Im Jahrbuch der Bogenhausener Sternwarte für 1838 macht Lamont auch
Angaben zur Zahl der ehelichen und unehelichen Kinder in München und
berichtet zum Stand der Irren in Bayern.
Der von ihm recherchierte und publizierte Lebensmittelverbrauch der
Stadt München gibt Auskunft über die Ernährungsgewohnheiten in der
Zeit 1836/37.
Der hohe Verbrauch an Gerste hat sicherlich mit dem Bierkonsum zu tun.
Mit Kapaunen sind kastrierte und gemästete Hähne und mit
Indianen Truthühner gemeint.
Seine Absicht dabei war, nützliche und zuverlässige Angaben,
aus amtlichen Quellen geschöpft, . . . welche den Freunden der
exacten Wissenschaften nützlich und erwünscht sind .
Neben Angaben zur wirtschaftlichen Entwicklung, zum
Nahrungsmittelverbrauch und zum Gesundheitswesen findet man z. B.
auch Abhandlungen, die sich mit der Neigung zum Verbrechen oder zum
Irrsinn als Funktion des Alters beschäftigen oder man erfährt, dass
bayerische Staatsdiener eine höhere Lebenserwartung haben als
normale Untertanen.
Daneben stellte er auch Vergleiche mit anderen Ländern an.
Danach war z. B. die Sterblichkeit in Bayern höher als in England.
Dafür war aber die Lebenserwartung in Bayern höher, wenn man das
kritische erste Lebensjahr überstanden hatte.
Als Sterbeursache spielten die heutigen Zivilisationskrankheiten damals
noch keine Rolle, denn als häufige Todesursachen wurden Schwäche und
Entkräftung, Auszehrung sowie Lungen- und Wassersucht genannt.
Dabei war die Zahl der durch übermäßigen Genuß geistiger
Getränke Umgekommenen höher als die Zahl der Verhungerten oder
Erfrorenen.
Die Jahrbücher und Kalender bieten so alles in allem ein buntes
Kaleidoskop der Verhältnisse im Königreich Bayern zur Biedermeierzeit.
Bildquellen:
Nr. 2–5, 8–10: USM
Nr. 1: P. Winkler
Nr. 6, 7: R. Rummel
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