Geschichte der Sternwarte
Lamont – Refraktor
Quasi als Antrittsgeschenk erhielt Lamont gleich ein neues Instrument,
einen Refraktor aus der berühmten ehemals Fraunhoferschen Werkstätte.
Dieser Refraktor war schon 1825 bei Fraunhofer in Auftrag gegeben
worden, der kurz zuvor nach sechsjähriger Bauzeit sein bisher größtes
Meisterwerk, einen parallaktisch montierten Refraktor mit einem
Objektivdurchmesser von 24.4 cm und einer Brennweite von 4.32 m,
an die Sternwarte in Dorpat geliefert hatte.
Noch vor seinem Tode 1826 konnte er mit den Planungen für das neue,
noch größere Teleskop beginnen.
Er konzipierte die Montierung des Refraktors und schmolz den Glasblock,
aus dem sein Nachfolger Georg Merz (1793–1870) das Objektiv mit
einem Durchmesser von 28.5 cm schliff.
Am 3. Februar 1834 wurde Lamont von Akademiepräsident Schelling, der
in Personalunion auch das Amt des Generalkonservators der staatlichen
Sammlungen bekleidete, aufgefordert, seine Ansichten über die
Art der zweckmäßigen Aufstellung des im Utzschneider’schen optischen
Institut vorhandenen großen Refraktors, über dessen Acquisition die
Unterhandlungen eingeleitet sind, baldmöglichst anher vorzulegen.
Schon am 4. April 1834 wurde das Generalkonservatorium
vom bayerischen Innenminister Ludwig Kraft Ernst Fürst
v. Oettingen-Wallerstein (1791–1870) informiert,
daß Seine Majestät der König die Erwerbung des im optischen
Institute des Geheimen Rathes von Utzschneider gefertigten Riesen
Refractor gegen die im J. 1825 geleistete Vorschußzahlung von
20 000 ƒl allergnädigst
zu genehmigen geruht haben.
Das k. Generalkonservatorium wird danach beauftragt, das erwähnte
Instrument . . . alsbald zu übernehmen.
Am 8. Januar 1835 benachrichtigte dann der Regierungspräsident des
Isarkreises, Karl August Donatus Graf v. Seinsheim (1784–1864),
das Generalkonservatorium,
daß Seine Majestät der König den vorgelegten Entwurf zu einem für
den großen Refractor der k. Sternwarte in Bogenhausen
besti¯ mten
Gebäude, welches auf Staatskosten erbaut werden soll, allerhöchst
genehmigt haben.
Der Bau des Gebäudes und die Aufstellung des Refraktors kamen noch
1835 zustande.
Darüberhinaus wurde das Generalkonservatorium am 19. März 1835 vom
Staats Ministerium des Innern in Kenntnis gesetzt,
daß die zum Gebrauche des großen Refractors weiters
noch erforderlichen zwey Instrumente, nämlich
a) ein Fraunhofersches Filiarmikrometer . . . zu 400 ƒl und
b) eine astronomische Pendeluhr zu 350 ƒl aus dem optischen Institute
dahier angekauft und die
Gesa¯ mtkosten . . .
aus der
Reservesu¯ me
für 1834/35 bestritten werden.
Georg Merz hatte 1808 in der Glashütte Benediktbeuern als Schürjunge
begonnen, sich in seiner Freizeit, gefördert von Fraunhofer, im
Selbststudium Mathematik und Optik beigebracht und war 1826 zum
Werkführer avanciert.
Die Firma existierte noch bis 1932 und baute erfolgreich Mikroskope,
Handfernrohre, Mikrometer, Spektroskope und Gebrauchsoptik
(z. B. Lupen und Brillen).
Die Königliche Sternwarte zu Bogenhausen um 1840/1845 (Blick von SW).
Die Lage des 1835 mit einem finanziellen Aufwand von
ca. 7800 Gulden gebauten, etwa 18 m langen und 8 m breiten
Refraktorgebäudes (rechts) ist nicht korrekt wiedergegeben.
Es befand sich nicht östlich, sondern, leicht versetzt, südlich vor
dem Hauptgebäude und besaß zunächst keine Kuppel mit Spalt, sondern ein
über Rollen verschiebbares Dach, das eine bessere Rundumsicht erlaubte.
Der Refraktor kostete 20 000 Gulden,
war also beinahe halb so teuer, wie der Rohbau der Sternwarte.
Im Vordergrund links ist eine niedrige Hütte zu erkennen.
Sie diente als Lichteinlass für Lamonts unterirdisches magnetisches
Observatorium, das 1840 eingerichtet wurde.
Einband des ersten Lamontschen Refraktorbeobachtungsbuches, das
interessante Messungen dokumentiert.
Lamont schwärmte von der Arbeit mit dem neuen, vorzüglichen Teleskop,
das für die nächsten vier Jahre das beste der Welt sein sollte:
Es genüge hier zu bemerken, das Alles darauf berechnet ist, jede
fremde Beihülfe, jede bedeutende Kraftanwendung überflüssig zu machen;
so vollständig wird auch dieser Zweck erreicht, dass der Beobachter,
ohne seinen Sitz zu verlassen, den halben Himmel durchwandern kann,
und kein Instrument mit so vieler Bequemlichkeit zu gebrauchen ist, als
gerade dasjenige, dessen riesenmässige Grösse auf mühsame Behandlung
schliessen lässt.
Zwei Projekte, die Lamont im Jahre 1836 mit dem neuen Teleskop
durchführte, verdienen eine etwas eingehendere Erwähnung:
Von Januar bis Mai 1836 machte er Ortsbestimmungen des alle 75 Jahre
periodisch wiederkehrenden Kometen Halley und lieferte damit die
einzige brauchbare Messreihe nach dessen damaligen Periheldurchgang.
Lamont schreibt:
Ein anderer Gegenstand von hohem Interesse stellte sich bald
nach dem Anfange des Jahres 1836 ein:
es war der aus den Sonnenstrahlen wieder hervortretende Halleysche
Comet.
Zum erstenmale konnte ich ihn am 17. Januar um 5 Uhr Morgens im
Refractor wahrnehmen; an den folgenden Tagen war es möglich, sehr
gelungene Ortsbestimmungen desselben zu erhalten. . . .
Uebrigens sind die Ortsbestimmungen des Cometen in seiner Bahn bis
17. Mai fortgesetzt worden, wo er auch für den hiesigen Refractor in
den Sonnenstrahlen verschwand, nachdem er geraume Zeit zuvor für alle
anderen grossen Fernröhre verschwunden war.
Die Messungen erwiesen sich als wertvoll für die 1986, also 150 Jahre
später durchgeführte europäische Raumflugmission Giotto zu diesem
Kometen, die u. a. zum Ziel hatte, während eines möglichst nahen
Vorbeiflugs an dessen Kern diesen zu photographieren, d. h. erstmals
einen Kometenkern sichtbar zu machen, was bekanntlich auch gelang.
Lamonts Beobachtungen wurden hierfür nochmals reduziert und zusammen
mit moderneren Daten dazu benutzt, den optimalen Kurs für Giotto
festzulegen.
Auch Lamont trug so zum Gelingen dieser Raumflugmission bei.
Links: Ausschnitt aus dem Beobachtungsbuch Lamonts, der sich auf die
Messungen des Halleyschen Kometen am 27. Januar 1836 bezieht.
Rechts: Der Komet bei seiner Wiederkehr 150 Jahre später vor dem
Panorama der Milchstraße.
Die Aufnahme entstand am 21. März 1986 an der Europäischen
Südsternwarte La Silla/Chile.
Die Raumsonde Giotto (links) war knapp drei Meter hoch und
hatte eine Startmasse von fast einer Tonne.
Die primären Instrumente bestanden aus einer CCD-Kamera und diversen
Massenspektrometern zur Untersuchung von Gas und Staub in der Nähe
des Kometen.
Auch Lamonts Beobachtungen trugen dazu bei, den genauen Kurs der
Raumsonde festzulegen, die am 14. März 1986 in einem Abstand von nur
600 km mit einer Relativgeschwindigkeit von 250 000 km/h
am Kern des Kometen vorbeiraste.
Die dabei von Giotto gemachten Aufnahmen zeigen einen
erdnussförmigen, dunklen Körper von etwa 15 km Länge und 7 km Breite
(rechts).
Lediglich 10% seiner Oberfläche sind in Sonnennähe aktiv und stoßen
vor allem Wasserdampf aus.
Die Analysen ergaben, dass der Komet vor 4.5 Milliarden Jahren aus
Eis entstanden ist, das an interstellaren Staubpartikeln kondensierte.
Seitdem hat sich seine Gestalt im Wesentlichen nicht mehr geändert.
Des Weiteren führte Lamont die ihm bekannten spektroskopischen
Experimente Fraunhofers und Soldners weiter.
Er hatte das von Fraunhofer und Soldner benutzte Instrument wieder
instand setzen lassen, um damit die Spektren
ungleichfarbiger Doppelsterne zu untersuchen.
Es sollte damit die Frage geklärt werden, ob
die Ungleichheit des Lichtes wirklich oder nur scheinbar sey .
Da er mit dieser Anordnung nur Sterne 1. Größe erreichte und selbst
da die Farben äußerst schwach wirkten, setzte er die Versuche mit dem
neuen großen Refraktor der Sternwarte fort, hinter dessen mit einem
Mikrometer versehenen Okular er hierfür ein Prisma eingebaut hatte.
Damit erhielt er sogar bei Sternen vierter Grösse
ein sehr intensives Spectrum, worin mehrere dunkle Linien zum
Theile mit grosser Deutlichkeit sich erkennen liessen.
Die Ergebnisse seiner Untersuchungen hat Lamont leider nicht in einer
detaillierten Publikation niedergelegt.
Lediglich in den Refraktor-Beobachtungsbüchern finden sich auch
Aufzeichnungen zu diesen Messungen.
Daraus wird ersichtlich, dass er zwischen dem 14. Juli und dem
1. Oktober 1836 die Spektren von 28 Sternen mit einer Helligkeit bis
ca. 4./5. Größe visuell untersucht und Bemerkungen zum Aussehen der
Spektren gemacht hat.
Für 14 Sterne aus diesem Ensemble führte er zusätzlich auch
mikrometrische Positionsbestimmungen starker Linien durch, wobei
er besonders einige Sterne des (jetzt so genannten) Typs A0 V
(Balmerserie) genauer reduzierte.
Daneben fertigte er für fünf Sterne Zeichnungen ihrer Spektren an und
schuf damit die ersten bildlichen Darstellungen von Sternspektren,
die überliefert sind.
Zusammen mit Fraunhofer und Soldner zählt Lamont daher zu den Pionieren
der Sternspektroskopie.
Es ist unbekannt, warum Lamont diese Arbeiten nicht weiter verfolgt hat
und damit diese Art der astronomischen Forschung vor einem
20-jährigen Dornröschenschlaf bewahrt hätte.
Links: Lamonts Zeichnungen der Spektren des sehr hellen Roten Riesen
Arcturus und des schwächeren Doppelsterns α CrB sowie
weiterer unbenannter Sterne vom 27. Juli 1836.
Dies sind die ersten bildlichen Darstellungen, die jemals von
Sternspektren (ausgenommen Fraunhofers Sonnenspektrum) angefertigt
wurden.
Rechts: Mikrometermessungen einiger Linien in den Spektren ausgewählter
Sterne.
Weitergehende Untersuchungen des Sonnenspektrums erfuhren dagegen
keine derartigen Verzögerungen und schon bald wurde klar, dass die
dunklen Linien durch Absorption in einem kühlen Gas entstehen, das
entweder die Sonnen- oder auch die Erdatmosphäre sein könnte.
Das Rätsel ihres Entstehungsorts war immer noch nicht gelöst, als
im August und September der Jahre 1847 und 1850 sowie während der
Sonnenfinsternis vom 28. Juli 1851 Karl Kuhn (1816–1869), Professor
für Mathematik und Physik am Cadettencorps in München,
mit der Erlaubnis des Herrn Conservators Dr. Lamont auf der
Kgl. Sternwarte zu Bogenhausen in das Geschehen eingriff und das
Spektrum der Sonne detailliert studierte.
Er benutzte hierzu wie Fraunhofer einen Coelostaten, der das Sonnenbild
für ca. drei bis vier Stunden auf einem mit Spalten versehenen
Fensterladen des Sternwartgebäudes hielt und untersuchte das von einem
Merzschen Flintglasprisma zerlegte Sonnenlicht mit einem Theodolit.
Es ist erstaunlich, dass Lamont offenbar wenig Interesse an diesen
Aktivitäten entwickelte und nur gelegentlich in instrumentellen Fragen
gütigst Rath ertheilte .
Kuhn zählte alle sichtbaren Linien (ca. 3000)
und maß die Positionen der stärksten Linien gegen Fraunhofers Linie A
(atm. O2-Band bei 7594 Å).
Dabei stellte er fest, dass sich die von Fraunhofer beschriebenen
Linien exakt an der gleichen Stelle befanden, also
fixe Linien im Sonnenspectrum sind.
Er bemerkte außerdem, dass die Anzahl der Linien im roten
Spektralbereich geringer ist als im blauen, dass deren Zahl jedoch
zunimmt, wenn sich die Sonne dem Horizont nähert.
Während der verschiedenen Phasen der Sonnenfinsternis wurden
die Linienpositionen auf Konstanz überprüft und keine Änderungen
festgestellt.
Lediglich Farb- und Intensitätsänderungen des kontinuierlichen
Spektrums wurden wahrgenommen.
Alle diese Beobachtungen verfestigten zwar die schon von anderen
Forschern erzielten Resultate, brachten aber in der Frage nach dem
Entstehungsort der fixen Linien, die von Kuhn auch nicht angegangen
wurde, keine neuen Erkentnisse.
Das 1852 von Kuhn publizierte, an der Sternwarte Bogenhausen
aufgenommene Sonnenspektrum (Fig. 1) mit einem Ausschnitt des Spektrums
im roten Spektralbereich (Fig. 2), in dem zusätzliche Linien kurz
vor Sonnenuntergang auftauchen.
Erst der Physiker Gustav Robert Kirchhoff (1824–1887) und der
Chemiker Robert Wilhelm Bunsen (1811–1899), die beide zu dieser
Zeit in Heidelberg arbeiteten, interpretierten in ihren 1860/61
erschienenen Arbeiten die Fraunhoferlinien im Sonnenspektrum als
Absorption durch die in den kühleren äußeren Schichten der Sonne
vorhandenen chemischen Elemente und es gelang ihnen, einen Teil der
Linien den im Labor erzeugten Emissionslinien einzelner Elemente
(Fe, Ca, Na etc.) zuzuordnen.
Die Möglichkeit der chemischen Analyse eines entfernten Himmelskörpers,
verbunden mit der Erkenntnis, dass zwischen »irdischer« und
»himmlischer« Materie kein Unterschied besteht, hat seinerzeit großes
Aufsehen und Bewunderung bei Wissenschaftlern und in der Öffentlichkeit
hervorgerufen.
Damit waren spektroskopische Untersuchungsmethoden ein hochaktuelles
Forschungsmittel sowohl in der Astronomie als auch in der Physik und
Chemie geworden und sind es bis heute geblieben.
Den weitaus größten Teil der Beobachtungen mit dem neuen Refraktor
widmete Lamont, bevor er das Interesse an seinem Riesenfernrohr
1840 gänzlich verlor, Problemen der klassischen Astronomie:
Bahnbestimmung der Satelliten von Saturn und Uranus sowie relative
Ortsbestimmungen in Nebelflecken , Sternhaufen und von Komponenten
in Doppelsternsystemen.
Links: Der von Lamont vermessene Sternhaufen im Sobieskischen
Schild.
Neuerliche Ortsbestimmungen der Hamburger Sternwarte, die 1874
veröffentlicht wurden, ergaben keine gesicherten Positionsänderungen.
Rechts: Lamonts Zeichnungen unterschiedlicher Nebelflecke
aus einer in den Druck gegangenen Öffentlichen Vorlesung ,
die er während einer Festsitzung der Akademie am 25. August 1837 hielt.
Nebelfleck Nr. IX konnte nur er mit seinem neuen Teleskop in
Sterne auflösen.
Bildquellen:
Nr. 1–4, 6–8, 12–16: USM
Nr. 9: R. Häfner
Nr. 5, 10, 11: WWW
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