Geschichte der Sternwarte
Soldner/Bogenhausen
Als der Entschluss zum Bau der Sternwarte in seiner unmittelbaren
Nähe fiel, war Bogenhausen keineswegs nur ein verschlafenes Bauerndorf.
Es taucht erstmals unter dem Namen Pupinhusun in einer Urkunde
aus dem Jahre 776 aus dem Dunkel der Geschichte auf, ist also
wesentlich älter als München.
Die ersten Brüche in der Jahrhunderte alten bäuerlichen
Dorfgemeinschaft ergaben sich bereits im 17. bzw. 18. Jahrhundert
mit der Entstehung und Entwicklung der Adelssitze Stepperg und
Neuberghausen, denen die niedere Gerichtsbarkeit verliehen wurde.
Stepperg war 1803 von Montgelas erworben worden, der es zunächst nur
als Sommerresidenz nutzte.
Schon 1804 war dann am Fuß des Bogenhausener Kirchbergs eine hölzerne
Pfahljochbrücke über die Isar errichtet worden, denn nicht zuletzt
Montgelas wollte eine bequemere Verbindung zwischen Bogenhausen und
seinem Stadtpalais haben.
Am 25. August 1805 wurde aus Stepperg eine historische Stätte,
als der bettlägerige Montgelas dort Geheimverhandlungen mit einem
französischen Abgesandten führte, die dann in dem Vertrag von
Bogenhausen resultierten und Bayern in den Koalitionskriegen auf
die Seite Napoleons brachten.
Die Holzbrücke wurde schon in den kriegerischen Auseinandersetzungen
des Jahres 1809 von österreichischen Truppen teilweise zerstört
und konnte erst 1812 durch eine neue Brücke mit gemauerten Pfeilern
ersetzt werden.
Neuberghausen, der zweite Edelsitz, war um 1760 nach Plänen des
Hofbaumeisters François de Cuvilliés (1695–1768) im Rokokostil
umgebaut worden und diente auch für einige Jahre Finanzminister
Hompesch als Wohnsitz.
Obwohl er bis zu seinem Tod 1809 nur knapp drei Jahre dort wohnte,
hieß das Schlösschen im Volksmund lange Zeit Hompeschschlößl .
Ab 1827 fungierte das Anwesen dann als Gaststätte und entwickelte
sich schnell neben der Menterschwaige und der Waldwirtschaft in
Großhesselohe zum beliebtesten Ausflugsziel der Münchener Bürger und
der Schickeria.
In Bad Brunnthal, einer Bade- und Heilanstalt ,
besaß Bogenhausen aber auch noch eine weitere Attraktion.
In einer Beilage der Münchener Politischen Zeitung
vom 29. Juni 1822 wird bekannt gemacht, dass
in jedem Zimmer dieser Badeanstalt eine kupferne und blecherne
Badewanne stehe, daß jeder das warme und kalte Wasser in dem Bad
selbst einlaufen lassen könne . . . und daß die Titl. Badegäste auf
Verlangen mit Coffee, Chocolade, Wein, Bier und Liqueures, dann
Schinken, Käs und Butter, gegen billige Preise, bedient werden.
Man hatte es hier offenbar mit einer frühen Form des Wellness-Hotels
zu tun.
Ländliche Szene in Bogenhausen mit Blick auf die Frauenkirche (1822).
Die in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts vergrößerte und im
Stil des bayerischen Spätbarock umgebaute Pfarrkirche St. Georg.
Biedermeierflair in Bogenhausen um 1830.
Linkes Bild:
Blick auf die Pfarrkirche St. Georg, den Pfarrhof und den ehemaligen
Edelsitz Neuberghausen.
Am linken Bildrand befinden sich die Gebäude der
Bade- und Heilanstalt Bad Brunnthal.
Rechtes Bild:
Neuberghausen war zu dieser Zeit schon
in einen allgemeinen Belustigungsort umgeschaffen worden.
Das Kurbad Brunnthal hatte um diese Zeit einen beträchtlichen Zulauf
und war eine Attraktion für die Münchener Bürger.
Auf der rechten Seite zeigt das Bild am Wegrand eine Burgfriedenssäule
(Grenzstein) und links einen Teil der Isarbrücke.
Die im Jahre 1812 neu errichtete Holzbrücke mit gemauerten Pfeilern
war schon 1823 so verfault, dass sie fast 50 Jahre lang immer wieder
durch Flickwerk ersetzt werden musste.
Neben St. Georg ist Neuberghausen und rechts an der Isar Bad Brunnthal
zu erkennen.
Ausschnitt aus dem Katasterplan des Jahres 1812.
Insgesamt zählte das Dorf Bogenhausen damals 30 Hausnummern.
Neben Kleinbauern und Tagelöhnern waren auch je ein Schlosser,
Schuster und Metzger ansässig.
Die Edelsitze Stepperg und Neuberghausen tragen die Nummern 23 bzw. 31,
Bad Brunnthal die Nummer 8.
Nachdem mit der Übergabe der Haidhausener Sternwarte an Soldner und
der Entscheidung für Bogenhausen klare Verhältnisse geschaffen worden
waren, ging es nun atemberaubend schnell vorwärts:
Nach der zügigen Genehmigung der Baupläne, die schon 1812 unter
Seyffers Einfluss entstanden waren, aber durch Reichenbach und
Soldner, fachlich beraten von Hofbauinspektor Franz Thurn, einigen
Modernisierungen unterworfen worden waren, konnte bereits am 11. August
1816 mit den Bauarbeiten begonnen werden.
Die provisorische Sternwarte in Haidhausen wurde abgerissen und die
noch verwertbaren Materialien beim Neubau verwendet.
Die Arbeiten gingen zügig voran und bereits am 15. 11. 1817 konnte
Thurn melden dass der Bau auf solideste Art vollendet und mit
allem Nötigen versehen sei.
Das Deckblatt der auf den 28. Januar 1820 datierten Pläne
der neuen königlichen Sternwarte bey München
zeigt die hufeisenförmige Anlage auf einem kleinen Hügel einige hundert
Meter östlich des Dorfes Bogenhausen inmitten einer ländlichen Idylle.
Diese Ausschnitte aus den Bauplänen geben Detailinformationen
zur Konstruktion der Kuppeln der beiden Beobachtungstürme und des
Meridiansaales.
Das begehbare Dach des Saales war eine
mit Kupfer gedeckte Plate-forme aus Holz.
Die Fundamente der Türme und des Saales sind bis auf den steinigen
Boden unterhalb einer Tonschicht gemauert, deren
Mächtigkeit zehen bis zwölf Fusse beträgt .
Als der Vorstand des im gleichen Jahr fertiggestellten Chemischen
Laboratoriums stürmisch den Erwerb von Geräten und Chemikalien
forderte, legte auch Soldner der Akademie am 23. Juli 1817 eine
reichhaltige Liste von seiner Meinung nach fehlenden, aber unbedingt
erforderlichen Instrumenten vor.
Seine Bemühungen waren von Erfolg gekrönt,
denn er erhielt z. B. einen Meridiankreis aus dem
Mathematisch-Mechanischen Institut von Reichenbach und Ertel,
ein Heliometer aus dem
Optischen Institut von Utzschneider und Fraunhofer
und eine Präzisionspendeluhr aus der
Mathematisch-Mechanischen Werkstätte von Utzschneider, Liebherr und Werner.
Utzschneider und Reichenbach waren zwischenzeitlich zu Konkurrenten
geworden, da sie sich 1814 getrennt hatten, um jeweils eigene Betriebe
aufzubauen.
Der Mechaniker Traugott Leberecht Ertel (1777–1858) war schon 1806 zu
Reichenbach gestoßen und C. I. Werner war als Sekretär Utzschneiders
mit rein kaufmännischen Aufgaben betraut.
Auszüge aus der von Maximus v. Imhof, Georg v. Reichenbach und
dem Oberfinanzrat bei der Steuer- und Domänensektion , Julius
Conrad v. Yelin (1771–1826), am 10. August 1816 unterzeichneten
Inventarliste der Behelfssternwarte bei Haidhausen, die insgesamt
24 Objekte enthält, die großenteils schon im Inventarverzeichnis des
Jahres 1809 enthalten waren.
Die Neuerwerbungen aus der Utzschneider-Reichenbach-Fraunhoferschen
Werkstatt sind nicht aufgeführt, ebensowenig wie Bücher oder Hausrat.
Der erste Spatenstich auf dem neuen Gelände bei Bogenhausen war schon
einen Tag später, am 11. August 1816, erfolgt.
Soldner konnte noch ein Heliometer von Fraunhofer (links), eine
Pendeluhr von Liebherr (Mitte) und vor allem einen Meridiankreis von
Reichenbach (rechts) für die im Bau befindliche Sternwarte erwerben.
Ein Heliometer war ein parallaktisch montiertes Fernrohr mit einer
Objektivlinse, die längs des Durchmessers auseinander geschnitten
war und deren beiden Hälften verschiebbar angeordnet waren.
Das Gerät gestattete damit mittels eines Mikrometers die hochpräzise
Bestimmung kleinster Winkel zwischen zwei Objekten, wenn man ihre
Teilbilder zur Deckung brachte.
Der Meridiankreis, ein Gerät zur Messung von Sternörtern im Meridian,
war das bisher größte Instrument, dessen Kreisteilung mit Reichenbachs
berühmter Kreisteilmaschine vorgenommen worden war.
Er erlaubte eine um einen Faktor zehn bessere Deklinationsbestimmung
von Sternen als es bis dahin möglich war.
Reichenbach fertigte noch zwei weitere identische Instrumente an,
die an Carl Friedrich Gauß (1777–1855) in Göttingen bzw.
Friedrich Wilhelm Bessel (1784–1846) in Königsberg geliefert wurden.
Dieser Teil der Baupläne gibt u. a. die Anordnung der
Instrumente im Meridiansaal wieder:
Das Repetitionsinstrument in der Mitte wird vom Reichenbachschen
Meridiankreis (links) und dem Mittagsrohr (rechts) flankiert.
Im östlichen der zwei Thürme mit Dreh-Kuppeln kommt das
Äquatorial zur Aufstellung und der andere bleibt
vorläufig zu allerlei Gebrauch übrig .
Das im Grundriss hufeisenförmige Sternwartgebäude hatte imposante
Ausmaße:
Die Frontlänge betrug ca. 40 Meter, die beiden Seitenflügel
waren je ca. 20 Meter lang.
Über eine Freitreppe aus Marmor gelangte man in die zentrale Einheit,
den Meridiansaal, der das Passageinstrument (Mittagsrohr ),
den Repetitionskreis und den Meridiankreis beherbergte.
Zur Verhütung von Feuchtigkeit war der hölzerne Fußboden des Saales
ca. 1.5 Meter über dem natürlichen Bodenniveau angelegt.
Er ruhte nur auf den Außenmauern, die das gewaltige Fundament nicht
berührten, das mit einer Tiefe von ca. 5 Metern bis zum felsigen
Untergrund reichte.
Auf diesem ungeheuern Block von solidem Mauerwerk wurden
marmorne Pyramiden, jede aus einem Stücke, aufgepflanzt, welche
die Instrumente und die Uhr tragen .
Diese Vorkehrungen sollten einen erschütterungsfreien Betrieb
gewährleisten.
Der Meridiansaal war flankiert von zwei achteckigen Beobachtungstürmen,
deren massive Pfeiler ca. 9 Meter bis zum festen Untergrund maßen.
Die Fußböden und Kuppeln ruhten auch hier berührungsfrei mit den
Fundamenten auf den Außenmauern.
In der Ostkuppel kam das Äquatorial zur Aufstellung und die Westkuppel
diente der Beobachtung mit portablen Instrumenten, die sich in der
Haidhausener Holzhütte angesammelt hatten.
Die Übergabekommission bestehend aus Imhof, Reichenbach und Yelin
listete am 10. August 1816 insgesamt 24 Objekte, darunter mehrere
kleinere Teleskope und Uhren.
In den Seitenflügeln befanden sich die Bibliothek, ein Raum zur
Lagerung der portablen Instrumente sowie die Wohn- und Arbeitsräume
des Astronomen, eines Gehilfen und eines Dieners.
Die Sternwarte war zudem mit zwei Küchen sowie – nicht ganz alltäglich
in jener Zeit – mit zwei innenliegenden Abtritten eingerichtet,
um deren Konstruktion sich Thurn besondere Gedanken gemacht hatte:
Da die Ausdünstungen der Abtritte aller Orten für die Gesundheit
sowohl als für die Meubles schädlich sind, so würden diese Dünste
um so mehr in einer Sternwarte einen sehr nachtheiligen Einfluß auf die
kostbaren astronomischen Instrumente haben.
Diesem Nachtheil mußte also bey der neuen Anlage begegnet werden.
Er verband daher die beiden Abtrittgruben jeweils mit dem Zug eines
Heizungskamins, so dass die übeln Dünste durch die Kamine
entweichen konnten:
Wo noch die Umstände eine solche Vorrichtung möglich machten,
hat der Erfolg auf das vollkommenste entsprochen.
Nur an einem einzigen Orte hat sich bisher der Fall ergeben, daß bey
sehr stürmischer Witterung der Rauch, folglich der Luftzug einige
Augenblicke zurückgehalten worden, und der Rauch bey der Oefnung des
Abtritt-Sitzes zum Vorschein gekommen ist.
Konstruktion der Abtritte , die die Beschädigung der wertvollen
Instrumente durch Ausdünstungen verhindern sollte.
Das astronomische Gebäude nach einer um 1830 entstandenen
Lithographie von Carl August Lebschée (1800–1877).
Mit einer Frontlänge von ca. 40 Metern und einer Seitenlänge
von ca. 20 Metern hatte die Anlage eine stattliche Größe.
Am rechten Bildrand ist der Brunnen der Sternwarte zu erkennen.
Nach Fertigstellung des Rohbaus im November 1817 hatte man laut einer
Kostenzusammenstellung von Hofbauinspektor Thurn beinahe
50 000 Gulden verbraucht.
Dieser Betrag entspricht einem Baupreis von ca. ein bis zwei
Millionen Euro, je nachdem welche Kriterien man als
Wertmesser für die jeweilige Kaufkraft zugrunde legt.
Die Inbetriebnahme des Observatoriums verzögerte sich jedoch noch
beträchtlich, da sich der Innenausbau sowie die Aufstellung und
Prüfung der Instrumente in die Länge zogen.
Ein Grund hierfür war, dass die Möblierung und die neu bestellten
Instrumente über den normalen Etat der Sternwarte abgerechnet werden
mussten.
Erst im September 1818 war Soldners Wohnung in der Sternwarte
bezugsfertig und erst jetzt konnte er sich intensiver vor allem um
die Justierung der Instrumente kümmern, die er mit großer Akribie
durchführte und bei der er ein erstaunliches technisches Geschick
bewies.
Die von Hofbauinspektor Thurn angefertigte detaillierte
Zusammenstellung der Baukosten, die sich auf insgesamt
47 174.15 Gulden beliefen.
Dieser Umgebungsplan Münchens aus dem Jahre 1826 zeigt die Lage
der neuen Sternwarte östlich des Dorfes Bogenhausen und die der
aufgelassenen alten Sternwarte bei Haidhausen.
Am 4. Januar 1819 war es dann endlich auch astronomisch soweit:
Die systematische Beobachtungsarbeit mit dem Passageinstrument konnte
mit einer Messung des Meridiandurchgangs des Sterns
α Lyrae begonnen werden.
Die Arbeit mit dem Mittagsrohr trat dann allerdings immer mehr
in den Hintergrund und wurde im August 1822 ganz eingestellt.
Denn Soldner stand ja daneben der bisher größte Meridiankreis, bei
dem die Kreisteilung mit Reichenbachs berühmter Kreisteilmaschine
vorgenommen worden war, als Hauptinstrument zur Verfügung.
Am 14. Dezember 1819 wurde dann mit einer Positionsbestimmung des
Sterns Polaris eine beinahe 125 Jahre andauernde
Beobachtungstätigkeit mit diesem Instrument eingeleitet.
Bildquellen:
Nr. 8–19, 21: USM
Nr. 1–7, 20, 22: WWW
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